06.09.2015
Aktuelles zum Thema Recht & Tarif
Befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach Erreichen des
Renteneintrittsalters
Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien nach Erreichen des Renteneintrittsalters des
Arbeitnehmers die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, kann die Befristung
sachlich gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer Altersrente aus der gesetzlichen
Rentenversicherung bezieht und die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses
der Einarbeitung einer Nachwuchskraft dient.
Der am 21. Januar 1945 geborene Kläger, der seit Vollendung seines
65. Lebensjahres am 21. Januar 2010 gesetzliche Altersrente bezieht, war bei der
Beklagten langjährig beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag sah keine Regelung über die
Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters
vor. Am 22. Januar 2010 vereinbarten die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis
am 31. Dezember 2010 ende. Dieser Vertrag wurde zweimal verlängert. Nachdem
der Kläger um eine Weiterbeschäftigung gebeten hatte, vereinbarten die Parteien
zuletzt am 29. Juli 2011, dass der Arbeitsvertrag ab 1. August 2011 mit veränderten
Konditionen weitergeführt werde und am 31. Dezember 2011 ende. Der Vertrag enthält
die Abrede, dass der Kläger eine noch einzustellende Ersatzkraft einarbeitet. Der
Kläger hat die Feststellung begehrt, dass sein Arbeitsverhältnis nicht durch die Befristung
am 31. Dezember 2011 geendet hat.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor
dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Die Sache wurde zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Der
Bezug von gesetzlicher Altersrente allein rechtfertigt die Befristung des Arbeitsverhältnisses
aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen (§ 14 Abs. 1
Satz 2 Nr. 6 TzBfG) nicht. Erforderlich ist in diesem Fall vielmehr zusätzlich, dass die
Befristung einer konkreten Nachwuchsplanung der Beklagten diente. Hierzu hat das
Landesarbeitsgericht bislang keine tatsächlichen Feststellungen getroffen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11. Februar 2015 - 7 AZR 17/13 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20. November 2012
- 12 Sa 1303/12 -
Observation durch einen Detektiv mit heimlichen Videoaufnahmen
Ein Arbeitgeber, der wegen des Verdachts einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit
einem Detektiv die Überwachung eines Arbeitnehmers überträgt, handelt rechtswidrig,
wenn sein Verdacht nicht auf konkreten Tatsachen beruht. Für dabei heimlich
hergestellte Abbildungen gilt dasselbe. Eine solche rechtswidrige Verletzung des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts kann einen Geldentschädigungsanspruch („Schmerzensgeld“)
begründen.
Die Klägerin war bei der Beklagten seit Mai 2011 als Sekretärin der Geschäftsleitung
tätig. Ab dem 27. Dezember 2011 war sie arbeitsunfähig erkrankt, zunächst mit
Bronchialerkrankungen. Für die Zeit bis 28. Februar 2012 legte sie nacheinander
sechs Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, zuerst vier eines Facharztes für Allgemeinmedizin,
dann ab 31. Januar 2012 zwei einer Fachärztin für Orthopädie. Der
Geschäftsführer der Beklagten bezweifelte den zuletzt telefonisch mitgeteilten Bandscheibenvorfall
und beauftragte einen Detektiv mit der Observation der Klägerin.
Diese erfolgte von Mitte bis Ende Februar 2012 an vier Tagen. Beobachtet wurden
ua. das Haus der Klägerin, sie und ihr Mann mit Hund vor dem Haus und der Besuch
der Klägerin in einem Waschsalon. Dabei wurden auch Videoaufnahmen erstellt. Der
dem Arbeitgeber übergebene Observationsbericht enthält elf Bilder, neun davon aus
Videosequenzen. Die Klägerin hält die Beauftragung der Observation einschließlich
der Videoaufnahmen für rechtswidrig und fordert ein Schmerzensgeld, dessen Höhe
sie in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hält 10.500 Euro für angemessen.
Die Klägerin habe erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten, die ärztlicher
Behandlung bedürften.
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage in Höhe von 1.000,00 Euro stattgegeben.
Die Revisionen beider Parteien blieben vor dem Achten Senat des Bundesarbeitsgerichts
ohne Erfolg. Die Observation einschließlich der heimlichen Aufnahmen war
rechtswidrig. Der Arbeitgeber hatte keinen berechtigten Anlass zur Überwachung.
Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen war weder dadurch erschüttert,
dass sie von unterschiedlichen Ärzten stammten, noch durch eine Änderung im
Krankheitsbild oder weil ein Bandscheibenvorfall zunächst hausärztlich behandelt
worden war. Die vom Landesarbeitsgericht angenommene Höhe des Schmerzensgeldes
war revisionsrechtlich nicht zu korrigieren. Es war nicht zu entscheiden, wie
Videoaufnahmen zu beurteilen sind, wenn ein berechtigter Anlass zur Überwachung
gegeben ist.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Februar 2015 - 8 AZR 1007/13 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 11. Juli 2013 - 11 Sa 312/13 -
Urlaub bei Wechsel in eine Teilzeittätigkeit mit weniger Wochenarbeitstagen
Kann ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer vor seinem Wechsel in eine Teilzeittätigkeit
mit weniger Wochenarbeitstagen Urlaub nicht nehmen, darf nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) die Zahl der Tage des bezahlten
Jahresurlaubs wegen des Übergangs in eine Teilzeitbeschäftigung nicht verhältnismäßig
gekürzt werden. Das Argument, der erworbene Anspruch auf bezahlten
Jahresurlaub werde bei einer solchen Kürzung nicht vermindert, weil er - in Urlaubswochen
ausgedrückt - unverändert bleibe, hat der EuGH unter Hinweis auf das Verbot
der Diskriminierung Teilzeitbeschäftigter ausdrücklich verworfen. Aufgrund dieser
Rechtsprechung des EuGH konnte an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
nicht festgehalten werden, nach der die Urlaubstage grundsätzlich
umzurechnen waren, wenn sich die Anzahl der mit Arbeitspflicht belegten Tage verringerte.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag für den öffentlichen
Dienst (TVöD) Anwendung. Der Kläger wechselte ab dem 15. Juli 2010 in eine Teilzeittätigkeit
und arbeitete nicht mehr an fünf, sondern nur noch an vier Tagen in der
Woche. Während seiner Vollzeittätigkeit im Jahr 2010 hatte er keinen Urlaub. Die
Beklagte hat gemeint, dem Kläger stünden angesichts des tariflichen Anspruchs von
30 Urlaubstagen bei einer Fünftagewoche nach seinem Wechsel in die Teilzeittätigkeit
im Jahr 2010 nur die 24 von ihr gewährten Urlaubstage zu (30 Urlaubstage geteilt
durch fünf mal vier). Der Kläger hat die Ansicht vertreten, eine verhältnismäßige
Kürzung seines Urlaubsanspruchs sei für die Monate Januar bis Juni 2010 nicht zulässig,
sodass er im Jahr 2010 Anspruch auf 27 Urlaubstage habe (für das erste
Halbjahr die Hälfte von 30 Urlaubstagen, mithin 15 Urlaubstage, zuzüglich der von
ihm für das zweite Halbjahr verlangten zwölf Urlaubstage).
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe dem Kläger drei weitere Urlaubstage
zu gewähren. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts
Erfolg. Zwar regelt § 26 Abs. 1 TVöD u.a., dass sich der für die Fünftagewoche festgelegte
Erholungsurlaub nach einer Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf weniger
als fünf Tage in der Woche vermindert. Die Tarifnorm ist jedoch wegen Verstoßes
gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitkräften unwirksam, soweit sie
die Zahl der während der Vollzeittätigkeit erworbenen Urlaubstage mindert.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Februar 2015 - 9 AZR 53/14 (F) -
Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 30. Oktober 2012
- 13 Sa 590/12 -
Urlaubsgewährung nach fristloser Kündigung
Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos sowie hilfsweise ordentlich unter
Wahrung der Kündigungsfrist und erklärt er im Kündigungsschreiben, dass der
Arbeitnehmer für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung unter
Anrechnung der Urlaubsansprüche von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt
wird, wird der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Erholungsurlaub nicht
erfüllt, wenn die außerordentliche Kündigung unwirksam ist. Nach § 1 BUrlG setzt die
Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub neben der Freistellung von der Verpflichtung
zur Arbeitsleistung auch die Zahlung der Vergütung voraus. Deshalb gewährt
ein Arbeitgeber durch die Freistellungserklärung in einem Kündigungsschreiben
nur dann wirksam Urlaub, wenn er dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor
Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 1987 beschäftigt. Mit Schreiben
vom 19. Mai 2011 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich
mit sofortiger Wirkung und hilfsweise fristgemäß zum 31. Dezember 2011. Im Kündigungsschreiben
heißt es: „Im Falle der Wirksamkeit der hilfsweise fristgemäßen
Kündigung werden Sie mit sofortiger Wirkung unter Anrechnung sämtlicher Urlaubsund
Überstundenansprüche unwiderruflich von der Erbringung Ihrer Arbeitsleistung
freigestellt.“ Im Kündigungsrechtsstreit schlossen die Parteien einen Vergleich, in
dem sie die wechselseitigen Ansprüche regelten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, mit der der Kläger die Abgeltung von
15,5 Urlaubstagen verlangt. Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben.
Die Revision der Beklagten hatte vor dem Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts
Erfolg. Zwar hat die Beklagte mit der Freistellungserklärung im Kündigungsschreiben
den Anspruch des Klägers auf bezahlten Erholungsurlaub mangels einer vorbehaltlosen
Zusage von Urlaubsentgelt nicht erfüllt. Die Klage war jedoch abzuweisen, weil
die Parteien in dem vor dem Arbeitsgericht geschlossenen Vergleich ihre Ansprüche
abschließend regelten.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Februar 2015 - 9 AZR 455/13 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 14. März 2013 - 16 Sa 763/12 -
Verdachtskündigung eines Berufsausbildungsverhältnisses
Der dringende Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Auszubildenden
kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses
nach § 22 Abs. 2 Nr. 1 BBiG darstellen, wenn der Verdacht auch bei Berücksichtigung
der Besonderheiten des Ausbildungsverhältnisses dem Ausbildenden die Fortsetzung
der Ausbildung objektiv unzumutbar macht.
Der Kläger absolvierte bei der Beklagten ab dem 1. August 2010 eine Berufsausbildung
zum Bankkaufmann. Am 20. Juni 2011 zählte er das sich in den Nachttresor-
Kassetten einer Filiale befindliche Geld. Später wurde ein Kassenfehlbestand von
500,00 Euro festgestellt. Nach Darstellung der Beklagten nannte der Kläger in einem
Personalgespräch von sich aus die Höhe dieses Fehlbetrags, obwohl er nur auf eine
unbezifferte Kassendifferenz angesprochen worden war. Die Beklagte hat das Berufsausbildungsverhältnis
wegen des durch die Offenbarung von Täterwissen begründeten
Verdachts der Entwendung des Fehlbetrags gekündigt. Der Kläger hält die
Kündigung für unwirksam. Ein Berufsausbildungsverhältnis könne nicht durch eine
Verdachtskündigung beendet werden. Auch fehle es ua. an seiner ordnungsgemäßen
Anhörung. Ihm sei vor dem fraglichen Gespräch nicht mitgeteilt worden, dass er
mit einer Kassendifferenz konfrontiert werden solle. Auf die Möglichkeit der Einschaltung
einer Vertrauensperson sei er nicht hingewiesen worden. Zudem habe die Beklagte
Pflichten aus dem Bundesdatenschutzgesetz verletzt.
Die Vorinstanzen haben nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Die Revision
hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfolg.
Die Verdachtskündigung hat das Ausbildungsverhältnis beendet. Das Landesarbeitsgericht
hat in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise die Umstände
des Falles gewürdigt und insbesondere die Anhörung des Klägers zu Recht als fehlerfrei
angesehen. Es bedurfte weder einer vorherigen Bekanntgabe des Gesprächsthemas
noch eines Hinweises bzgl. der möglichen Kontaktierung einer Vertrauensperson.
Auch Datenschutzrecht stand der Beweiserhebung und -verwertung nicht
entgegen.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Februar 2015 - 6 AZR 845/13 -
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. April 2013 - 2 Sa
490/12 -